Gastbeitrag: Interview mit PD Dr. med. Sven Staender – Pionier der Patientensicherheit

Wir freuen uns sehr, Ihnen den ersten Gastbeitrag in unserem new-win Blog präsentieren zu dürfen. Wie bereits auf Linkedin angekündigt, arbeiten wir seit Anfang 2025 eng mit dem Mitbegründer von CIRS in der Schweiz und dem Inhaber von Simply-Safe, PD Dr. med. Sven Staender, zusammen. Wir haben mit ihm über seinen Werdegang, die Entwicklung von CIRS in der Schweiz, aktuelle Entwicklungen und die Zukunft von CIRS sowie seine Zusammenarbeit mit new-win gesprochen.

Viel Freude beim Lesen des Interviews.

Gastbeitrag: Interview mit PD Dr. med. Sven Staender – Pionier der Patientensicherheit

Wir freuen uns sehr, Ihnen den ersten Gastbeitrag in unserem new-win Blog präsentieren zu dürfen. Wie bereits auf Linkedin angekündigt, arbeiten wir seit Anfang 2025 eng mit dem Mitbegründer von CIRS in der Schweiz und dem Inhaber von Simply-Safe, PD Dr. med. Sven Staender, zusammen. Wir haben mit ihm über seinen Werdegang, die Entwicklung von CIRS in der Schweiz, aktuelle Entwicklungen und die Zukunft von CIRS sowie seine Zusammenarbeit mit new-win gesprochen.

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Gastbeitrag: Interview mit PD Dr. med. Sven Staender – Pionier der Patientensicherheit

Wir freuen uns sehr, Ihnen den ersten Gastbeitrag in unserem new-win Blog präsentieren zu dürfen. Wie bereits auf Linkedin angekündigt, arbeiten wir seit Anfang 2025 eng mit dem Mitbegründer von CIRS in der Schweiz und dem Inhaber von Simply-Safe, PD Dr. med. Sven Staender, zusammen. Wir haben mit ihm über seinen Werdegang, die Entwicklung von CIRS in der Schweiz, aktuelle Entwicklungen und die Zukunft von CIRS sowie seine Zusammenarbeit mit new-win gesprochen.

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Einleitung

In einer Zeit, in der die Qualität der Gesundheitsversorgung immer mehr in den Fokus rückt, gewinnt das Thema Patientensicherheit zunehmend an Bedeutung.
Wir freuen uns, Ihnen heute ein exklusives Interview mit PD Dr. med. Sven Staender, einem Pionier auf diesem Gebiet, präsentieren zu dürfen. Dr. Staender ist Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin mit über 30 Jahren Berufserfahrung, war 25 Jahre lang Chefarzt am Spital Männedorf und hat vor einem Jahr die Firma Simply-Safe gegründet, die sich auf Sicherheitsberatung im Gesundheitswesen spezialisiert hat. In seiner neuen Rolle als Partner und Beirat von new-win wird er mit seiner ausgewiesenen Expertise und fachlichen Beratung gemeinsam mit uns an der Förderung und Verbreitung des Critical Incident Reporting Systems (CIRS) in der Schweiz arbeiten.
Als renommierter Experte für Patientensicherheit und klinisches Risikomanagement hat Dr. Staender massgeblich zur Entwicklung von Sicherheitsstandards im Gesundheitswesen im In- und Ausland beigetragen. In diesem Gespräch teilt er mit uns seine Erkenntnisse und Visionen für eine sicherere Zukunft im Schweizer Gesundheitswesen.

Das Interview

Werdegang und CIRS in der Schweiz

Herr Dr. Staender, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. Sie sind seit über 30 Jahren als Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin tätig. Sie gelten als Pionier auf dem Gebiet der Patientensicherheit und haben zusammen mit Daniel Scheidegger und Mark Kaufmann am Universitätsspital Basel 1995 das Critical Incident Reporting Systems (CIRS) entwickelt. Können Sie uns etwas über Ihren Werdegang erzählen und was Sie dazu bewogen hat, sich auf das Thema Patientensicherheit zu spezialisieren?

Ich hatte das Privileg, im Team von Daniel Scheidegger am Universitätsspital in Basel zu arbeiten. Er war ein Visionär, der schon früh «über den Tellerrand» der Anästhesie geblickt hat und auf Qualitäts- und Sicherheits-Themen gesetzt hat. Unter ihm wurde durch Hans-Gerhard Schäfer damals der erste Team-Simulator in einer Kooperation mit der Universität Austin (Texas) entwickelt und entsprechende Kontakte zur NASA und zur damaligen Swissair geknüpft. In diesem Umfeld bin ich mit dem Thema in Kontakt gekommen und war überzeugt, dass wir in der Medizin nicht einzig auf gute Technologie und Medikamente setzen dürfen, sondern uns auch um den Faktor Mensch in diesen Systemen kümmern müssen, wenn wir uns substantiell verbessern wollen. Das bringt es mit sich, dass wir uns auch ganz grundsätzlich um menschliches Handeln und den Folgen daraus in komplexen Systemen kümmern müssen. Das war einer der Grundgedanken zur Entwicklung von CIRS.

Können Sie uns erklären, was das Critical Incident Reporting System (CIRS) ist und wie es in Schweizer Gesundheitseinrichtungen angewendet wird?

CIRS ist ein anonymes Meldesystem für kritische Ereignisse in der Medizin. Also Ereignisse, die ein Gefährdungspotential hatten, aber aus verschiedenen Gründen nicht zur schweren Komplikation geführt haben. Derlei Ereignisse haben ein oft grosses Lern-Potential und können zudem dazu beitragen, Prozesse sicherer zu gestalten.
Primär wurde das System zunächst in Anästhesie-Abteilungen in Spitälern eingesetzt, dann zunehmend auch in anderen Fachbereichen und schliesslich oft auf Gesamtspital-Ebene.

Können Sie uns konkrete Beispiele für unerwünschte Ereignisse in Gesundheitseinrichtungen nennen, die ernste Folgen für Patienten haben können, und durch das CIRS erfasst wurden? Und wie haben diese Meldungen zur Verbesserung der Patientenversorgung beigetragen?

Da gäbe es ganz viele Beispiele: potentielle Verwechselungen von Medikamenten mit ähnlicher Beschriftung, falsche Aufbereitung von Beatmungsbeuteln, Beinahe-Verwechselungen von Patient/innen etc.

Wie viele dieser unerwünschten Ereignisse gibt es schätzungsweise pro Jahr in der Schweiz? Können Sie uns einige statistische Daten nennen?

Das ist nicht möglich und ergibt auch keinen Sinn: diese Berichtssysteme bzw. das Melden von Ereignissen ist freiwillig. Und somit wissen wir nicht, wieviele Ereignisse nicht berichtet werden. Die Motivation, ein Ereignis zu berichten hängt von ganz vielen Faktoren ab. Somit werden wir nie wissen, wieviele Ereignisse tatsächlich passieren. Hinzu kommt: CIRS ist ein Lern- und Verbesserungs-System und kein Mess-System für das Risiko. Mit freiwilligen Berichtssystemen wie CIRS kann man das Risiko nicht quantifizieren.

Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für das Auftreten vermeidbarer Fehler im Gesundheitswesen?

Die Sicherheit in den Spitälern und Gesundheitseinrichtungen in der Schweiz steht unter einem enormen Druck: einerseits ist da die ewige Frage nach den Ressourcen und andererseits der stetig wachsende Anspruch der Bevölkerung nach Gesundheitsdienstleistungen und nach Sicherheit. Und das Ganze in einem System, das von der Organisations- und Prozess-Struktur her als komplexes System bezeichnet wird. Das ist eine ganz gefährliche Mischung: Komplexität, Ressourcen-Knappheit, Druck auf Effizienz und Geschwindigkeit und hoher Anspruch an Erfolg und Sicherheit.

CIRS ist in Spitälern Pflicht, für neue ambulante Praxen ein Zulassungskriterium. Wie beurteilen Sie die Umsetzung und Nutzung des Meldesystems in den verschiedenen Gesundheitseinrichtung und Settings?

Ohne hier eine systematische Übersicht zu haben kann ich aus meinen Netzwerken sagen, dass CIRS leider nicht den Stellenwert hat, den es haben könnte und sollte. Viel zu oft wird das System als eine Art Alibi-Übung eingesetzt, ganz nach dem Motto: wir haben CIRS eingeführt und damit unserer Verpflichtung nach einem Risiko-Tool Genüge getan. Dem ist natürlich nicht so: aus CIRS kann man nur dann lernen, wenn man aktiv mit den Fällen arbeitet, sie als Lernfälle aufbereitet, analysiert, Feedback gibt und allfällige Verbesserungsmassnahmen umsetzt und kommuniziert. Man muss also mit CIRS aktiv arbeiten.

Sind alle Mitarbeitenden in einem Spital verpflichtet, unerwünschte Ereignisse über das CIRS zu melden?

Das hängt vom Grad der Umsetzung im jeweiligen Spital ab, ob es also ein spitalweites Meldesystem ist oder abteilungsspezifisch. Hinzu kommt, dass Meldungen in diese Meldesysteme wie CIRS freiwillig sind.

Unerwünschte Ereignisse zu melden ist das eine. Sie zu analysieren und dann wirksame Massnahmen abzuleiten, das andere. Wie entschlossen agieren hier die Mitarbeitenden in Spitälern?

Auch das hängt ganz von der Ressourcen-Ausstattung ab. Ab einer gewissen Organisationsgrösse braucht es eine Stabstelle, die sich um die Administration und Koordination des Systems kümmert. Hier stellt sich also die erste Frage: gibt es diese Stelle? Des Weiteren muss auf allen Mitarbeiter-Stufen die Arbeit mit CIRS-Fällen als Qualitäts-Arbeit betrachtet werden, die nicht noch rasch nach dem Ende des Arbeitstages gemacht wird. Also erneut: die aktive Arbeit mit den Fällen aus den Meldesystemen muss von der Organisation gefördert werden, sonst verkommt sie zur Alibi-Übung.

Aktuelle Entwicklungen

Ein unerwünschtes Ereignis zu melden bedeutet, einen Fehler einzugestehen. Wie hat sich die Fehlerkultur im schweizerischen Gesundheitswesen in den letzten Jahren entwickelt? Können Sie konkrete Beispiele für Fortschritte oder anhaltende Herausforderungen bei der Implementierung einer positiven Fehlerkultur im Gesundheitswesen nennen?

Ich bin kein Freund vom Begriff «Fehlerkultur», weil der Begriff zu sehr die Fehleranfälligkeit suggeriert und sehr oft der Mensch damit konnotiert ist. Wir sollten viel eher von Sicherheits-, Lern- oder Verbesserungs-Kultur sprechen. Denn unsere Mitarbeiter/innen erbringen jeden Tag ihren besten Job und wenn etwas passiert, müssen wir uns fragen, warum das passiert ist und was wir daraus lernen und allenfalls verbessern können. Wir müssen aufhören, Menschen als Risiko in komplexen Systemen zu betrachten, sondern als Sicherheit. Ohne Menschen, die in bestimmten Momenten von einer Regelung abweichen, können wir die heutige Komplexität nicht mehr bewältigen. Wenn dann aber etwas passiert, dürfen wir nicht anklagen und verurteilen, sondern uns fragen, was diese Mitarbeiter/innen veranlasst hat, so zu handeln. Wir müssen den Bewältigungs-Versuch verstehen. Nur dann können wir lernen, was wir verbessern müssen.

Wie schätzen Sie die aktuelle Situation der Patientensicherheit in der Schweiz im internationalen Vergleich ein?

Das ist schwierig so pauschal zu beantworten, da das Thema so viele verschiedene Facetten hat. Zudem gibt es nicht den einen Parameter, den man zum Thema Sicherheit messen könnte und anhand dessen man Vergleiche mit anderen Ländern anstellen könnte. Die OECD hat zu einzelnen Themen Ländervergleiche angestellt und ganz allgemein kann man daraus schliessen, dass wir uns in der Schweiz im guten Mittelfeld befinden.

Welche gesetzlichen oder politischen Änderungen wären aus Ihrer Sicht notwendig, um Meldesysteme in der Schweiz besser zu verankern?

Es braucht dringend die Umsetzung der Motion Humbel. Diese Motion wurde bereits im Jahr 2018 im Nationalrat eingebracht und 2021 schlussendlich nach dem Nationalrat auch vom Ständerat an den Bundesrat verwiesen. Ziel der Motion ist es, einen Vertraulichkeitsschutz für derlei Lernsystem in der Schweiz zu etablieren. Nach meinem Wissen liegt der Ball seither beim Bundesrat. Eine baldige Umsetzung dieser Motion wäre aus meiner Sicht sehr wünschenswert.

Selbstständigkeit und Partnerschaft mit new-win

Sie haben sich letztes Jahr selbständig gemacht und die Simply-Safe GmbH gegründet. Können Sie uns etwas mehr darüber erzählen?

Ich habe mich während meines ganzen beruflichen Lebens immer mit dem Thema Sicherheit und Risiko beschäftigt. Das musste immer in Einklang mit meiner beruflichen Arbeit als Arzt gebracht werden. Jetzt habe ich letztes Jahr beschlossen, mich ausschliesslich auf das Thema Risiko- und Sicherheitsmanagement zu konzentrieren und entsprechend meine Arbeit im Spital zugunsten der Arbeit für dieses Thema aufzugeben. Dazu habe ich die Simply-Safe GmbH gegründet.

Sie arbeiten neu auch eng mit new-win zusammen. Wie kam es zu dieser Partnerschaft?

Ich kenne Beat Fankhauser und seine Firma schon seit über 20 Jahren. Als ich 1999 von Basel kommend frisch als Chefarzt in Männedorf angefangen hatte, wollte ich unbedingt eine elektronische Umsetzung von dem von mir mit entwickelten System CIRS erreichen. Da wurde mir Beat Fankhauser empfohlen und so sind wir damals in Kontakt gekommen. Mit meinem Schritt in die Selbständigkeit war es entsprechend nur logisch, diesen Kontakt im Sinne einer engeren Kooperation zu vertiefen.

Welche spezifischen Ziele verfolgen Sie gemeinsam mit new-win im Bereich Patientensicherheit und CIRS?

Wir wollen unser beiderseitiges Knowhow nutzen, indem wir das Wissen und die grosse Erfahrung von new-win im Bereich Software-Lösungen mit meinem Wissen in Bezug auf Risiko- und Sicherheits-Management in der Medizin kombinieren.

Wie können Ihrer Meinung nach Softwarelösungen wie die von new-win dazu beitragen, die Patientensicherheit zu verbessern? Inwiefern unterstützt new-win die technische Weiterentwicklung von CIRS in der Schweiz?

Wie weiter oben schon gesagt, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Anwenderinnen und Anwender von Meldesystemen bestmöglich unterstützt werden, wenn sie eine Meldung machen wollen bzw. wenn sie mit Zwischenfall-Meldungen ihre Organisation verbessern wollen. Dazu muss eine Softwarelösung nutzerfreundlich sein und unterstützend. Beides leisten die Lösungen von new-win.

Die Zukunft von CIRS

Wie sehen Sie die Rolle der Digitalisierung und neuer Technologien wie künstliche Intelligenz und Big Data in der Zukunft von CIRS und in Bezug auf Verbesserung der Patientensicherheit?

KI wird die Medizin bereichern, keine Frage. Die Herausforderung wird darin bestehen, dass wir klug und vernünftig mit diesen technischen Lösungen umgehen: Stimmt die Datenbasis? Ist die Interpretation der Daten korrekt oder hat hier eine KI frei assoziiert etc. Derlei Fragen müssen wir im Auge behalten. Darüber hinaus können technische Lösungen aber dazu beitragen, die unendliche Flut an Fakten und Wissen in der Medizin im Überblick zu behalten.

Welche Vision haben Sie für die Zukunft von CIRS und Patientensicherheit in der Schweiz und wie passt die Zusammenarbeit mit new-win in diese Vision?

Auf der Makro-Ebene müssen wir dem Thema der Qualität und der Sicherheit im Gesundheitswesen mehr Beachtung schenken. Die OECD hat unlängst errechnet, dass in den westlichen Spitälern ca. 13% der direkten Kosten auf Probleme in der Qualität und der Sicherheit zurückzuführen sind. Hier haben wir neben der ethisch-moralischen Herausforderung auch ein enormes ökonomisches Optimierungs-Potential, das unbedingt angepackt werden muss. Auf der Organisations-Ebene müssen wir die Arbeitsbedingungen durch eine Reduktion der Komplexität verschlanken und die Mitarbeitenden vor Entscheidungs-Konflikten zwischen Sicherheit auf der einen Seite und Produktivität im weitesten Sinne auf der anderen Seite schützen. Gute und zielgerichtete Softwarelösungen sind hier matchentscheidend.

Und zum Schluss noch die letzte Frage: Was würden Sie Gesundheitseinrichtungen raten, die ihre Sicherheitskultur verbessern möchten?

Machen Sie das Thema «Sicherheit» zum Kernthema und investieren Sie in Sicherheit. Denn gemäss OECD sinken die Kosten, wenn die Qualität und Sicherheit verbessert werden.

Abschliessende Worte

Dr. Staender betont zum Abschluss unseres Gesprächs: „Patientensicherheit ist eine kontinuierliche Reise, kein Ziel. Es geht darum, eine Kultur zu schaffen, in der Sicherheit oberste Priorität hat und jeder Einzelne sich dafür verantwortlich fühlt. Mit CIRS haben wir ein mächtiges Werkzeug, aber es liegt an uns allen, es effektiv zu nutzen und aus den Erkenntnissen zu lernen.“
Dieses Gespräch mit Dr. Staender zeigt eindrücklich, wie komplex und wichtig das Thema Patientensicherheit ist. Es wird deutlich, dass es einer Kombination aus menschlicher Expertise, kulturellem Wandel und technologischer Innovation bedarf, um nachhaltige Verbesserungen zu erzielen. Die Zusammenarbeit zwischen Experten wie Dr. Staender und Technologieunternehmen wie new-win ist ein vielversprechender Schritt in Richtung einer sichereren Gesundheitsversorgung für alle Patienten in der Schweiz und darüber hinaus.
Wir danken Dr. Staender ganz herzlich für dieses aufschlussreiche Gespräch und freuen uns auf unsere gemeinsame Reise.

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