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CIRS-Meldesystem und Patientensicherheit: Qualitätsmanagement in Spitex- und Langzeitpflege
In der sich stetig wandelnden Schweizer Gesundheitslandschaft stehen Spitex-Organisationen und Langzeitpflegeeinrichtungen vor der Herausforderung, höchste Pflegestandards zu gewährleisten und gleichzeitig regulatorische Anforderungen zu erfüllen. Ein zentraler Baustein dabei sind professionelle digitale CIRS-Meldesysteme (Critical Incident Reporting System), die zur Patientensicherheit und kontinuierlichen Verbesserung beitragen und somit das Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen verbessern.
Wir freuen uns, Ihnen heute unser Expertengespräch mit Jennifer Kummli präsentieren zu können, einer erfahrenen und engagierten Pflegeexpertin MScN und Gründerin der Better Nursing GmbH. Als kompetente Fachfrau für CIRS-Implementierung und Qualitätsmanagement unterstützt sie ambulante Leistungserbringer bei der OKP-Zulassung und der Einführung moderner Fehlermeldesystem (Incident Reporting Systeme).
Jennifer Kummli verfügt über langjährige Erfahrung im Spitex-Bereich und hat sich als Spezialistin für Pflegequalitätsmanagement und CIRS-Meldesysteme etabliert. Ihre Firma Better Nursing bietet mobile Pflegeexpertise für Spitex- und Langzeitpflegeorganisationen in der Schweiz an und unterstützt bei der Erfüllung der Art. 58g KVV-Anforderungen.
Zuvor möchten wir der Better Nursing GmbH herzlich zum 3-jährigen Jubiläum gratulieren, das sie kürzlich im Juli gefeiert haben – ein beeindruckender Erfolg, der die hohe Nachfrage nach professioneller Qualitätsmanagement- und Pflegeberatung im Schweizer Gesundheitswesen unterstreicht.
Das Interview
Expertise und Werdegang
Frau Kummli, Sie sind Pflegeexpertin MScN mit langjähriger Erfahrung im Spitex-Bereich. Was hat Sie dazu bewogen, sich auf das Thema Pflegequalitätsmanagement zu spezialisieren?
Eine qualitativ hochstehende Pflege und Patientensicherheit zu gewährleisten war für mich immer ein wichtiges Thema. Leider war das je nach Arbeitsbedingungen und Abläufe nicht überall möglich oder zumindest nicht auf diese Weise, wie ich mir das gewünscht habe. Da ich gerne mitdenke und vorantreibe sowie eine Passion dafür habe, die Pflege besser zu machen, war für mich klar, dass ich mich im Bereich der Pflegequalität spezialisieren möchte.
2022 haben Sie Better Nursing gegründet. Was war der ausschlaggebende Moment für diesen Schritt in die Selbständigkeit?
Die Selbständigkeit war so nicht geplant. Ich habe einen Schubser erhalten von Maria Müller Staub (Pflegewissenschaftlerin), welche ich im Rahmen einer Fortbildung kennenlernen durfte. Dazumal habe ich ihr gesagt, ich würde liebend gerne auch das Thema Pflegeprozess unterrichten, aber ich sei ja nicht Professorin und international dafür bekannt und vernetzt. Sie meinte darauf, das könne ich ja trotzdem. Als sie ein Jahr später in den Ruhestand ging und weiterhin Anfragen hatte für Schulungen zum Pflegeprozess in der Spitex, hat sie den anfragenden Personen einfach meine E-Mailadresse gegeben und prompt hatte ich eine Anfrage. Ich habe dann bei Maria nachgefragt, wie diese Anfrage bei mir gelandet sei, ob sie etwas damit zu tun hatte, was sie bejahte. So entstand an einem Nachmittag der Vorbereitung auf die erste Schulung der Name Better Nursing, sowie unser früheres Logo und Website. Das hat den Stein ins Rollen gebracht und nun sind bereits drei Jahre vergangen.
Welche spezifischen Qualifikationen bringen Sie und Ihr Team für die Beratung zu modernen CIRS-Meldesystemen mit?
Als Pflegeexpertin mit Masterabschluss habe ich ein sehr breites Wissen im Bereich der Pflege. In der Praxis habe ich digital Meldesysteme, unter anderem die H-CIRS-Lösung von new-win, erfolgreich eingeführt, angewendet, geschult und wiederbelebt.
CIRS-Meldesysteme und Patientensicherheit im digitalen Zeitalter
Better Nursing feierte kürzlich sein 3-jähriges Bestehen – ein Beleg für die hohe Nachfrage nach Ihren Dienstleistungen. Was sind aus Ihrer Sicht die grössten Herausforderungen beim Qualitätsmanagement in der Schweizer Spitex- und Langzeitpflege?
Wie schnell die Zeit vergeht. Wir freuen uns, dass wir uns im Markt etablieren konnten.
Die grössten Herausforderungen liegen meiner Meinung nach in der mangelnden Zeit aufgrund von Fachkräftemangel, Fluktuation und krankheitsbedingter Abwesenheit. Es ist eine Negativspirale. Zusätzlich führt das Finanzierungssystem zu starkem Druck. Das alles kann zu einer Unterversorgung oder zu einer fehlerhaften Versorgung führen. Weiter ist das Wachstum aufgrund der steigenden Nachfrage eine Herausforderung. Viele Organisationen können vor lauter Wachstum ihre Prozesse nicht adaptieren und die Qualität kann dadurch schnell sinken.
Seit 2022 sind CIRS-Meldesysteme für neue ambulante Leistungserbringer zur OKP-Zulassung verpflichtend. Wie erleben Sie die praktische Umsetzung?
Leider ist die Implementierung von CIRS-Meldesystemen noch nicht flächendeckend optimal umgesetzt. Oder es ist ein digitales CIRS-System vorhanden, aber es kommen keine Meldungen oder es stehen keine Personen/Zeit zur Verfügung, diese zu bearbeiten. Weiter sehe ich, dass die Fehlerkultur und die fehlende Just Culture die Philosophie und erfolgreiche Implementierung von CIRS verhindert. Es ist ein längerer Prozess, diese so zu verändern und anzupassen. Es gibt aber auch Spitex-Organisationen, wo moderne CIRS-Software wie das H-CIRS sehr wohl funktioniert und genutzt wird.
Welche Rolle spielen digitale CIRS-Systeme bei der OKP-Zulassung nach Artikel 58g KVV und den kommenden Qualitätsverträgen für die Langzeitpflege?
CIRS-Meldesysteme sind heute schon zwingend für die OKP-Zulassung ambulanter Leistungserbringer gemäss Art. 58g KVV. Sie werden zudem in den künftigen Qualitätsverträgen für die Langzeitpflege eine wichtige Rolle spielen, weil sie Transparenz schaffen, die Patientensicherheit erhöhen und eine Just-Culture fördern. Während im Spitalbereich der erste Qualitätsvertrag bereits gilt, sind die Verträge für Langzeitpflege aktuell noch in Erarbeitung.
Wie erklären Sie Spitex-Organisationen den konkreten Nutzen von modernen CIRS-Meldesystemen für die Patientensicherheit?
Ein professionelles digitales CIRS-Meldesystem ermöglicht es, systematisch Herausforderungen und Bruchstellen im System aufzudecken, die die Qualität und Patient:innensicherheit erhöhen können. Sie gibt den Mitarbeitenden zudem ein Gefühl von Power, da sie zum Mitdenken und Handeln sowie optimieren der Organisation beitragen können.
Welche konkreten Hürden sehen Sie bei der CIRS-Implementierung in Spitex-Organisationen und Pflegeheimen?
Wenn die Fehlerkultur daraus besteht, dass Mitarbeitende sanktioniert werden. Also wenn man beispielsweise dreimal falsch Medikamente richtet, man dann ein Gespräch mit der Vorgesetzten hat und sich dies unter Umständen in der Mitarbeiterbeurteilung widerspiegelt. Weiter kann eine Hürde sein, wenn geplant ist, dass die Vorgesetzte oder sogar die Geschäftsleitung die Fälle als erstes einsehen, statt einer Stabstelle. Weiter müssen aus den Meldungen Massnahmen zur Optimierung abgeleitet werden. Sonst melden die Mitarbeitenden nichts mehr, «weil ja eh nichts passiert«.
Es darf schon ein wenig Begeisterung für das CIRS-Meldesystem, zumindest bei den Beteiligten der Analyse, vorhanden sein.
Können Sie konkrete Beispiele für messbare Verbesserungen durch CIRS-Implementierung nennen?
In der Reihe von Quick-Alert von Patientensicherheit Schweiz gibt es viele Meldungen mit entsprechenden Massnahmen. Oder auch mit einer Anbindung an CIRRNET. So kann man organisationsübergreifend lernen und die Ereignisse müssen nicht erst in der eigenen Organisation passieren.
Beispielsweise zeigte eine Studie der Stadt Luzern, dass die Austrittsorganisation vom Spital zur Spitex häufige Fehler in der Medikation mit fehlerhaften oder unvollständigen Medikamenten aufzeigte. Indem die konkreten Fälle gesammelt und aufgezeigt wurden, konnte das Spitalpersonal sensibilisiert und die Abläufe optimiert werden. Im Folgejahr gab es hierzu einen Rückgang der CIRS-Meldungen.
Digitale CIRS-Software und Qualitätsmanagment-Lösungen
Sie haben vor Ihrer Selbständigkeit bei Spitex Uster bereits mit Software-Tools von new-win gearbeitet. Welche Vorteile bieten digitale Meldesysteme wie H-CIRS oder H-FEEDBACK aus Ihrer praktischen Erfahrung gegenüber papierbasierten Dokumentationen?
Digitale CIRS-Meldesysteme wie H-CIRS bieten entscheidende Vorteile: Bessere Niederschwelligkeit für das Einreichen von Meldungen. Das Ermöglichen von anonymisierten Meldungen. Eine viel bessere und schnellere Analyse der Fälle sowie eine bessere Transparenz, um die Fälle und die daraus abgeleiteten Massnahmen den Mitarbeitenden zu kommunizieren.
Welche Anforderungen stellen Sie an eine professionelle CIRS-Software für Spitex-Organisationen und die Langzeitpflege?
Eine professionelle CIRS-Software muss intuitiv bedienbar und auf allen Geräten, auch mobilen, verfügbar sein – besonders wichtig für Spitex-Mitarbeitende unterwegs. Man muss Auswertungen daraus ziehen können, ohne manuell zu rechnen. Sie muss den Prozess vereinfachen, in dem der Verlauf der Meldungen nachvollziehbar dokumentiert werden kann.
Neben H-CIRS als Einzellösung bietet new-win auch H-CIRS als Community-Lösung an und hat diese bereits bei drei Schweizer Spitex-Verbänden erfolgreich eingeführt. Wie bewerten Sie solche Verbandslösungen im Vergleich zu Einzellösungen für kleiner Spitex-Organisationen?
Finde ich eine sehr gute Idee, dass die Verbände hier die interessierten Mitglieder unterstützen. Das CIRS so möglichst einfach und pragmatisch einzuführen und ihnen das entsprechende Know-how mitzugeben, entlastet sehr. Nicht jede Organisation hat die Ressourcen, das selbst zu starten oder ein eigenes Konzept zu erstellen. CIRS-Community-Lösung kann auch helfen, gemeinsam die Kultur zu entwickeln und voneinander zu lernen.
Wie sehen Sie die Zukunft der Pflegeinformatik und digitalen CIRS-Meldesysteme?
Die Zukunft der Pflegeinformatik liegt in integrierten, intelligenten Systemen. Digitale Meldesysteme wie CIRS werden direkt mit der Pflegedokumentation und den Qualitätsindikatoren verknüpft, sodass aus jedem Vorfall automatisch Lernpotenzial entsteht. Künstliche Intelligenz wird helfen, Muster früh zu erkennen und präventive Massnahmen anzustossen, während einfache mobile Tools die Meldung im Alltag erleichtern. So entwickeln wir Pflegequalität datenbasiert und proaktiv weiter.
Strategische Partnerschaft mit new-win für optimales CIRS-Qualitätsmanagement
Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Better Nursing und new-win entstanden?
Das war dann wohl meine Initiative. Dadurch, dass ich mit der H-CIRS-Software von new-win bereits positive Erfahrung gesammelt habe und ich mit Better Nursing das Thema CIRS auch weiter in der Praxis vorantreiben wollte, war für mich klar, dass ich auf euch zu gegebenem Zeitpunkt zukommen werde. Und das habe ich entsprechend gemacht an der Zukunft Spitex Veranstaltung 2024.
Welche konkreten Vorteile ergeben sich für Kunden aus dieser Partnerschaft?
Unsere strategische Partnerschaft vereinfacht die Umsetzung des CIRS-Meldesystems in der Organisation, da die Software aber auch das Know-how eingekauft werden können. So kann Zeit für die Implementierung gespart und die Chancen auf Erfolg bei der Umsetzung erhöht werden.
Wie unterscheidet sich diese kombinierte CIRS-Lösung von anderen Anbietern am Markt?
Unsere Partnerschaft unterscheidet sich wesentlich darin, dass wir Praxis und Digitalisierung wirklich zusammenbringen. Better Nursing bringt die pflegefachliche Expertise aus der Spitex und Langzeitpflege ein, und new-win ergänzt die daten- und qualitätsorientierte Perspektive. So bieten wir Lösungen, die nicht nur technisch funktionieren, sondern auch von den Teams getragen werden, mit direkter Wirkung auf die Qualität, Patient:innensicherheit und Alltagstauglichkeit. Andere Anbieter stellen primär eine Plattform oder Software bereit, wir hingegen begleiten Organisationen ganzheitlich. Von der Analyse über die Implementierung bis hin zur nachhaltigen Schulung und Kulturentwicklung.
Zukunft der digitalen Patientensicherheit und CIRS-Systeme
Welche gesetzlichen oder politischen Entwicklungen – Stichwort Qualitätsverträge für die Langzeitpflege – erwarten Sie im Bereich CIRS-Meldesysteme und Patientensicherheit?
Es werden Qualitätsindikatoren für die Spitex-Organisationen kommen. Wir werden dadurch die vorhandenen Daten besser auswerten können und die Forschung so unterstützen. Das kann allen wiederum helfen, sich entsprechend auszurichten auf die Bedürfnisse und Anforderungen der Zukunft. Ich wünsche mir zudem eine Überprüfung der Umsetzung in der Praxis.
Was ist Ihre Vision für die Zukunft der Pflegequalität in der Schweiz in den nächsten fünf Jahren?
Meine Vision für die Pflegequalität in der Schweiz in den nächsten fünf Jahren ist eine Kultur, in der Qualität nicht als Pflichtübung, sondern als gemeinsame Entwicklung verstanden wird, und in der CIRS-Meldesysteme selbstverständlich zur täglichen Pflegepraxis gehören. Wir werden Qualität datenbasiert messen, aus CIRS, Home Care Data und den Qualitätsindikatoren lernen und wir werden Pflegeexpert:innen mit Masterabschluss standarmässig in die Teams integrieren. So entsteht eine Pflege, die nicht nur effizient ist, sondern nahbar bleibt und innovativ wird.
Abschliessende Worte
Jennifer Kummli betont zum Abschluss unseres Gesprächs: „Pflegequalität ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Mit den richtigen Systemen, der entsprechenden Expertise und einer offenen Lernkultur können wir die Schweizer Spitex- und Langzeitorganisationen nachhaltig stärken. Professionelle CIRS-Meldesysteme sind kein regulatorisches Übel, sondern ein mächtiges Werkzeug für kontinuierliche Steigerung der Pflegequalität. Die Partnerschaft zwischen Better Nursing und new-win zeigt, dass innovative Zusammenarbeit konkrete Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit schaffen kann. Mit den anstehenden Qualitätsverträgen für die Langzeitpflege steht ein bedeutender Wandel an, der neue Chancen für eine systematische Verbesserung der Patientensicherheit eröffnet.“
Dieses Interview mit Jennifer Kummli macht deutlich, wie wichtig die Kombination aus fachlicher Expertise und technologischer Innovation für die Weiterentwicklung der Pflegequalität und der Patientensicherheit in der Schweiz ist. Die strategische Partnerschaft zwischen Better Nursing und new-win ist ein Beispiel dafür, wie durch sinnvolle Zusammenarbeit Synergien und Lösungen entstehen, die allen Beteiligten – Organisationen, Pflegfachpersonen und vor allem den betreuten Menschen – zugutekommen.
Wir danken Jennifer Kummli ganz herzlich für dieses interessante Gespräch und freuen uns auf unsere gemeinsame Zusammenarbeit.